Presseberichte

Schwerer Ausnahmefehler
"Black Box" in Offenbach (Kultur - Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2006, Nr. 298, S. 51)
 
Am Ende gehen Waltraud Stereo buchstäblich die Lichter aus. Es fiept und qualmt im Inneren des gewaltigen Gehäuses, was eigentlich kein Wunder ist, hat sich das Fräulein Schulspielleiterin doch ziemlich echauffiert. Zu Recht, wenn man bedenkt, daß etwa der Stabilomat, der hier den Hamlet gibt, das Messer wieder sinken läßt; daß Rapidopress viel lieber denn als Gertrud selbst als Prinz von Dänemark im Rampenlicht gestanden hätte; und daß nicht zuletzt ein Wesen namens Rotex RTS als Ophelia dauernd seinen Text vergißt, weil es die ganze Zeit nur eitel in den Spiegel blickt: "Sehe ich Cindy Crawford nicht zum Verwechseln ähnlich?"

Nun ja, der Vergleich ist doch arg verwegen, wenn man bedenkt, daß alle Rollen in dem Stück von aus Tonbändern, Staubsaugern und Radiatoren zusammengebastelten Robotern gegeben werden. Denn die Schüler, die hier zum Jahresabschluß mit Eifer Shakespeares "Hamlet" einstudiert haben, gehen nicht etwa auf ein humanistisches Gymnasium, sondern in die Roboterklasse 4b. "Black Box", so der Titel des beim Off-Mozart-Festival in Salzburg uraufgeführten Stücks des Künstlerkollektivs "Gold Extra", das jetzt im Hafen 2 in Offenbach zu sehen war, ist ein kleines, aberwitziges Stück experimentelles Theater. Denn daß acht ferngesteuerte Roboter, dann, wenn irgendwann einmal der Mensch verschwunden ist von dieser Erde, mit "Hamlet" all die großen Menschheitsfragen zu umkreisen suchen, mag man sich immerhin noch ausmalen.

Und daß die Schauspieler so einiges nicht ganz verstehen, am Ende gar ein wenig wirr im Arbeitsspeicher vor der großen Frage, vor "Sein oder Nichtsein" also, stehen, war durchaus vorauszusehen. Schließlich sind derlei "schwere Ausnahmefehler" wie Liebe, Tod und Leidenschaft im System nicht vorgesehen. Darüber hinaus aber, schon der Titel weist unmißverständlich darauf hin, stellt "Black Box" unter der Regie von Sonja Prlic die Frage nach dem Wesen und dem Zauber des Theaters. Und neben "Sein oder Nichtsein" rückt die Befragung nach den Mitteln, von Choreographie, Licht und Klang, Bühne und Raum mehr und mehr ins Zentrum der Inszenierung.

Das Technik und Raum, Spielfläche und Statisten offen ausstellende Bühnenbild Susanne Hillers, die soeben ihr Diplom an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung bei Professorin Rosalie abgelegt hat und für "Black Box" mit dem "Offenbacher Löwen" ausgezeichnet wurde, ist insofern keineswegs Kulisse, sondern atmosphärischer Kern des Stücks. Und das Konzept geht erstaunlich selbstverständlich auf. Am Ende freilich sind, ganz anders als bei Shakespeare vorgesehen, die Helden bis auf Fräulein Stereo nicht tot, sondern geraten außer Rand und Band. Und beinahe könnte man vermuten, es fahre so etwas wie Leben in diese Robotermaschinen, als rebellierten sie in dunkler Ahnung einer Welt, die nicht allein auf Logik und System gegründet ist, gegen ihr mit kühler Präzision vorprogrammiertes Schicksal. Strenggenommen wäre das zwar nicht besonders logisch. "Black Box" aber ist schließlich auch Theater. CHRISTOPH SCHÜTTE

 

 

Roboters Sein oder Nichtsein (Offenbacher Post, 16. 12. 2006)

„Black Box“ im Offenbacher Hafen 2

„Wir hätten gern auf Erfahrungswerte zurückgegriffen“, sagt Regisseurin Sonja Prlic. Aber es gab keine. „Hamlet“ mit Robotern aufzuführen, das hatte sie sich mit Karl Zechenter in den Kopf gesetzt. Beide Theaterwissenschaftler gehören der Salzburger Künstlergruppe „gold extra“ an. HfG-Studentin Susanne Hiller macht das Bühnenkonzept zum Thema ihrer Diplomarbeit. Derzeit ist „Black Box“ im Offenbacher Hafen 2 zu sehen.
Die acht Protagonisten wurden fantasievoll aus Tonbandgeräten und Plattenspielern erschaffen. Auch riesige Kaffeebehälter oder Waschmaschinentrommeln dienten als Korpus. Walter Schacherbauer stattete die sympathischen Individuen mit der nötigen Technik aus, um ferngesteuert über die Bühne rollen und „sprechen“ zu können. Stimmen österreichischer Schauspieler und Radiosprecher dringen aus dem Inneren. Die Blechwesen bilden die Roboterklasse 4b, die zum Schuljahresabschluss den „Hamlet“ aufführt.
Die Zuschauer (sozusagen die Robotereltern) sitzen auf schaumstoffbespannten Lautsprecherboxen. Im Zentrum steht ein überdimensionaler Stromkasten als Projektionsfläche für Einspieler. Starkstromkabel winden sich auf dem Boden. Die Lehrerin – ein monumentaler Block aus Hifi-Geräten – hilft den Schülern auf die Sprünge, um Fragen wie den Wert der Liebe aus Robotersicht zu diskutieren. Es geht um die großen Themen der Menschheit und den Wunsch nach Menschlichkeit. Als jedoch die Frage „Was ich später einmal werden will“ aufkommt, rangiert der iPod ganz oben. Mancher, so sieht man in einem kurzen Film, wir indes zum Getränkeautomaten berufen …
Als größtes Hindernis für den geordneten Ablauf der Shakespeare-Tragödie erweist sich „Hamlet“ selbst. Stabilomat, ein umgebauter 50er-Jahre-Heizlüfter, stellt den Textsinn fortwährend in Frage. Am Ende weigert er sich gar, den Mord an Ophelias Vater zu begehen, den seine Rolle vorschreibt. Die Darsteller streiten. Rotex ACS alias Ophelia bietet an, die Rollen zu tauschen. Chaos bricht aus. Das Hauptsystem ist überlastet. Sicherungen knallen durch. Das Stück folgt seinen eigenen Gesetzen, die Frage nach „Sein oder Nichtsein“ wird neu interpretiert.
Das „Theater für acht ferngesteuerte Roboter“ ist ein gelungenes Gesamtkunstwerk. Es protzt nicht mit dem enormen technischen Aufwand hinter den Kulissen, sondern setzt auf seine „Darsteller“, das Bühnenbild und die Geschichte, die neben den im Original vorgetragenen Passagen vor originellen Einfällen strotzt. ANKE STEINFADT

 

 

Blechbüchsen mit Herz
11. September 2006 Salzburger Nachrichten

R2-D2 als Dänenprinz Hamlet: Salzburgs freie Kulturszene lieferte Freitag ausgefallenes Robotertheater jenseits des Mozartkults ab.

STEPHAN KLIEMSTEIN Maschinen spielen Hamlet: Das Salzburger Künstlerkollektiv "gold extra" inszenierte mit dem ungewöhnlichen Stück "Black Box" am Freitag beim OFFMozart-Festivalauftakt in der ARGEkultur Robotertheater der besonderen Art. Acht junge Recheneinheiten der Roboterklasse 4b präsentierten ihre Interpretation des Shakespeare-Klassikers Hamlet. In der Rolle der stolzen Eltern: das Publikum.

Unter den 33 Mitwirkenden (Konzept, Regie: Sonja Prlic, Karl Zechenter) sind Electro-Barsänger Louie Austen, Schauspielerin Connie Böhnisch und Kulturjournalist Hannes Eichmann. Sie liehen den sympathischen Robotern ihre Stimmen.

Es geht um die großen Themen der Menschheit, auch um den Wunsch nach Menschlichkeit. Alles Proben war vergeblich: Liebe, glaubt ein "Mensch-System", sei nur Verschwendung von Kapazitäten. Als die Roboter - umfunktionierte Plattenspieler, Diaprojektoren, Aufnahmegeräte - diese Grundfragen der Menschen, Tod und Lebenssinn etwa, diskutieren, scheitert die Präsentation. Zum Missfallen der mechanischen Schulspielleiterin. "Sein oder Nichtsein", dieser Satz wird mit nahendem Ende der Vorstellung neu interpretiert. Keiner der Protagonisten will sterben, das System ist überlastet, Chaos bricht aus. Durchaus amüsant sind jene Szenen, in denen die Roboter mit menschlichen Charakterzügen wie Neid und Missgunst agieren. Immer wieder drängt der schwelende Konflikt um die Besetzung des Hamlets an die Oberfläche. Das Ensemble erinnert an pubertierende Schüler, die Distanz zu den "Darstellern" schwindet.

Zwischen den Akten an die Wand projizierte Clips: Einer zeigt die Schulklasse während des philosophischen Diskurses über die nachahmenswerten und doch nur schwer zu analysierenden Menschen. Deren Drang, mit Hilfe medizinischen Fortschritts das Leben zu verbessern und die eigene Vergänglichkeit hinauszuschieben, ist für die Schüler nicht nachvollziehbar. Ihre Zukunftswünsche: "Ich will ein iPod werden."

Beeindruckend war vor allem die Choreografie der ferngesteuerten Roboter, die zwischen sichtlich amüsierten Beobachtern heiter tanzten und lachten. Da erschienen sie dem Menschen gar nicht unähnlich.

© SN.

 


Drehpunkt Kultur

Mitgefühl für die Roboter
„OFFMozart“ in der ARGE: Die Gruppe „gold extra“ mit zwei Aufführungen von einem etwas anderem „Hamlet“ – Roboter als Schauspielr - mit bewundernswertem technischem Ablauf.
Von Werner Thuswaldner

11/9/06 Dass in der Reihe „OFFMozart“ am Freitag in der ARGE keine ganz konventionelle Aufführung von Shakespeares „Hamlet“ zu erwarten sein würde, war von vornherein klar. Die Gruppe „gold extra“ (S. Prlic, K. Zehenter, R. Bidner, A. Grienberger, S. Hiller iRoy & Odd, W. Schacherbauer) präsentierte vielmehr Theater der Zukunft. Ungewöhnlich war der Abend nicht bloß deshalb, weil der Spielort eine Arena ist und das Bühnenbild auf eine nicht sonderlich große Leinwand projiziiert wird. Die Darsteller sind niedliche Roboter, die ferngesteuert wie kleine Raupenfahrzeuge daherrollen. Jeder und jede hat ihren eigenen Charakter. Alte Tonbandgeräte bilden meist den Grundkorpus. Allein von ihrem Aussehen her wirken sie nicht wie seelenlose Maschinen, vielmehr wie ein wenig aus der Art geschlagene Hominiden. Ausgerechnet Hamlets Onkel, der einem unsympathisch vorkommen sollte, wo er doch ein Mörder ist, wirkt mit seinem aufgeweckten „Gesicht“ am schnuckeligsten. Wenn sie sprechen, leuchtet ein Lämpchen auf. Die Stimmen sind nicht synthetisch, sie stammen von Menschen, von Schauspielern und Radiosprechern. Hannes Eichmann ist leicht als fürwitziger Horatio zu erkennen, ebenso Susanna Szameit als Königin Gertrud, die ganz gern selbst den Hamlet spielen möchte, und der Barsänger Louie Austen gibt den Geist von Hamlets Vater, der als Ventilator von der Decke kommt, seine Stimme. Polonius ist schlecht zu verstehen, weil er meist einen Deckel vor seinem Lautsprecher hat.
Alle diese Darsteller sind sehr beweglich, sie können sogar tanzen. Allerdings machen sie beim Gehen, richtiger beim Fahren, ein unangenehm lautes Geräusch.
Zuerst wird den Zuschauern von einem riesigen weiblichen Computer erklärt, dass sie es mit der Abschlussaufführung der Roboterklasse 4 b zu tun hätten. Es gibt allerlei Unterbrechungen und Zusatzerklärungen, etwa darüber, wer aller schon in der Theatergeschichte die Ophelia gespielt hat. Hamlet gibt sich sehrschnell als Grübler zu erkennen, etwa wenn er überlegt, warum in dem Trauerspiel so viele sterben, zuletzt aber doch wieder als Lebendige auftauchen. Hamlet ist es dann auch der sich als das größte Hindernis für einen geordneten Ablauf der Tragödie erweist. Der Grund sind seine Skrupel. Das Spiel gerät vollends an der Stelle aus den Fugen, da Hamlet seinen ersten Mord begehen soll. Er bringt es offenbar nicht über sein Roboterherz, Polonius, den Vater von Ophelia, zu erstechen. Das Gezeter der Lehrerin hilft nichts, der Denker Hamlet setzt sich mit seinem Satz über „Sein oder Nichtsein“ durch, und von da an folgt die Show ihren eigenen Gesetzen. Bemerkenswert ist, dass die Roboter am Schluss nicht weiter wissen, zutraulich werden, und die Nähe der Menschen suchen.
Das Changieren zwischen Ernst und Heiterkeit, zwischen flapsigem Witz und philosophischer Tiefe macht die Qualität der Aufführung aus. Der technische Ablauf ist bewundernswert. Ein wenig mehr Dichte würde nicht schaden.